Er ist kein Teenager mehr: In diesem Jahr wird der Euro 20 Jahre alt. Am 1. Januar 1999 wurden die Wechselkurse der damals teilnehmenden elf Länder festgeschrieben. Bis das Bargeld herauskam, dauerte es noch drei Jahre, dann war der Euro auch „greifbar“. Bei Währungen ist das allerdings etwas anders als mit dem Erwachsenwerden. Die älteste Notenbank ist die schwedische Zentralbank, die 1656 gegründet wurde. Die US-amerikanische Währung hat 227 Jahre auf dem Buckel. So gesehen hat der Euro gerade einmal Kindergartenalter erreicht.
Die Kinderkrankheiten jedenfalls sind noch nicht überwunden, wie man an den fortgesetzten Auseinandersetzungen rund um Verschuldungsregeln, Bankenunion oder Target-Salden ablesen kann. Aber man sollte angesichts der Langlebigkeit von Währungen den Entwicklungsprozess zeitlich nicht überfordern. Wer aus den Querelen rund um Griechenland oder Italien schlussfolgert, dass der Euro eine ewige Krisenwährung ist, sollte sich mit der Währungsgeschichte der Vereinigten Staaten beschäftigen. Auch dort dauerte es über ein Jahrhundert fortgesetzter finanzpolitischer Anpassungen und Veränderungen, ehe der US-Dollarraum ein funktionsfähiges Stadium erreicht hatte. Der Euro hat noch viel Ausbildungszeit vor sich, wenn er seine begonnene Entwicklung zu einem ernsthaften Konkurrenten des US-Dollar fortsetzen will.
Bislang ist der US-Dollar die einzige und unangefochtene Weltwährung – sehr zum Vorteil der finanziellen Möglichkeiten des US-amerikanischen Staates, der nämlich eine weit höhere Verschuldung eingehen kann als die schlimmsten Schulden-Sünder im Euroraum. Der Euro ist der US-Währung auf den Fersen, und hat andere ehemalige Reservewährungen wie etwa das britische Pfund abgehängt. Beides trägt zu seiner Beliebtheit an den angelsächsischen Finanzplätzen nicht gerade bei. Aber diese Entwicklung zur Weltwährung zeigt, wozu Europa fähig ist, wenn es einig ist, nämlich zu einer weltweiten Führungsrolle. Dagegen sind jedem Einzelstaat in der Weltwirtschaft von heute enge Grenzen gesetzt, wie das Brexit-Projekt im Vereinigten Königreich gerade wieder zeigt.
Bei allen Ähnlichkeiten mit der US-Währung muss man aber auch die Unterschiede betonen. Eine Währung ohne gemeinsamen Staat: Geht das? Die Probleme sind offensichtlich: Die Fliehkräfte von Währungsunionen sind deswegen so groß, weil die ökonomischen Entwicklungen an den verschiedenen Enden eines großen Währungsraums so unterschiedlich sind. In einer Region herrscht gerade Aufschwung, in der anderen Rezession. Die eine Region ist reich, die andere arm. In einer Ecke des Währungsgebietes fehlen Arbeitskräfte und die Löhne steigen, in der anderen Ecke sinken sie, weil es nicht gelingt genügend Arbeitsplätze aufzubauen. Ist die Währungsunion gleichzeitig ein Staat, so gibt es eine von allen geteilte gemeinsame Verantwortung für alle Regionen. Rezessionen werden durch gemeinsame Sozialversicherungssysteme gemildert, Arbeitslose ziehen um in die Regionen, wo sie gebraucht werden, die Banken sind gleich gut beaufsichtigt und es gibt keine Kapitalflucht, weil man nicht befürchten muss, dass in Teilen der Währungsunion morgen wieder die alte Währung eingeführt wird. Diese und viele weitere Mechanismen sind der Klebstoff, der funktionierende Währungsunionen zusammenhält, auch solche, die aus einzelnen (Bundes-) Staaten zusammengesetzt sind wie der US-Dollar oder auch der Schweizer Franken.
Der Euro hat keinen Staat im Rücken, deswegen finden alle Auseinandersetzungen um regionale Unterschiede, die in den anderen Währungsräumen durch den Zentralstaat wegfinanziert werden, auf offener Bühne statt. Das säht Zwietracht in Europa. Also weg mit dem Euro er funktioniert doch nicht? Das wäre zu kurz gesprungen. Es gibt andere Möglichkeiten des Ausgleichs. Die Bankenunion oder der Europäische Stabilitätsmechanismus sind solche Möglichkeiten. Aber diese Institutionen sind erst ganz am Anfang. Ob sie ausreichen oder weiter entwickelt werden müssen, wird in den nächsten 20 Jahren entschieden werden.
Eines kann man dem Euro aber nicht nachsagen: dass sein Geldwert instabil ist. Der Durchschnitt der Inflationsraten im Euroraum lag seit 1999 bei 1,7 Prozent und erfüllte damit genau das Inflationsziel der EZB von „unter aber nahe bei zwei Prozent“. Der Außenwert ist ebenfalls stabil. Gegenüber dem US-Dollar liegt der schwächste Euro-Kurs bei 0,83 US-Dollar pro Euro im Jahr 2000, der höchste bei 1,60 im Jahr 2008. Heute erhält man für einen Euro etwa 1,14 US-Dollar. Auch die Europäische Zentralbank hat nach Einschätzung der Mehrheit der geldpolitischen Beobachter – sogar in Deutschland – handwerklich einen guten Job gemacht. Zwar stöhnen die Sparer unter den Niedrigzinsen. Dies ist jedoch ein weltweites Phänomen und hat mit dem Euro kaum etwas zu tun. Insgesamt also eine durchwachsene Bilanz nach 20 Jahren. Technisch funktioniert der Euro, politisch sind viele Fragen ungeklärt. Aber auch im Kindergarten weiß man ja noch nicht so recht, was aus den Knirpsen einmal werden wird.
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